Bericht von Jan-Erik Hubele

über das "Feast of Friends 2005" in Heyrothsberge

Das FEAST of FRIENDS als giant family ?

   Die Nacht vom 28. Juli 2005 auf den 29. hatte ich kaum schlafen können. Mir war nicht klar, was mich da erwarten würde. Als Fest von Freunden für Freunde wurde es angekündigt. Benny von den Lizard Kings fragte mich wenige Tage zuvor, ob ich denn diese Band ankündigen könnte. „Klar, warum nicht?!“, lautete ungefähr meine Antwort. Immerhin hatte ich sie schon vor dem «Le Relais» gegenüber des Pariser Friedhofes Père Lachaise, der letzten Ruhestätte Jim Morrisons, angekündigt. Was sind schon vier Jahre? Bestimmt würde es mir gelingen, ein paar Sätze zu sagen. In Gesprächen mit Mikle, der Christian vom Bunker kontaktierte, sowie einem weiteren mit Benny wurde es langsam erweitert: warum nicht alle Bands bei diesem Festival ansagen?!? Dazu noch eine Lesung, die mehr eine „posthume“ Buchvorstellung wurde von meinem Erstlingswerk, das immer mehr durch Verlagsklaubereien und urkapitalistischem Gehabe zu einem Stiefkind heruntergekommen war. Das hatte das Buch, die Arbeit, die Mühe und der meiner Meinung nach schlüssige Inhalt nicht verdient. Wer es noch nicht kennt: „Zwischen Himmel und Hölle – Jim Morrison in Paris“.

   Am Freitag, den 29. Juli, war ich schon gegen 5 Uhr auf den Beinen. Schnell eine Dusche über den verschwitzten Schädel und ab zum Bahnhof. Fast 10 Stunden Getucker von Kaiserslautern nach Magdeburg, wo ich nach Umsteigen in Mannheim, Frankfurt, Kassel und Sangerhausen pünktlich um 17.36 Uhr ankam. Das war deshalb wichtig, weil Mikle mit Antje und Jule sowie Jochen T. schon am Bahnhof warteten. Eine halbe Stunde dauerte es jedoch noch, bis Matthias per Mitfahrgelegenheit am Bahnhof Magdeburg eintraf. Viele Staus verstopften an diesem Freitag wie üblich die Straßen. Komisch, im Zug hatte ich davon gar nichts bemerkt...;-) Aber ich halte mich mit ökologischen Sprüchen lieber zurück; immerhin waren die meisten trotz Staus wesentlich früher in der „Ehemaligen“. 

   Leider konnte ich die Gastfreundschaft von Mikle & seiner Familie diesmal nicht annehmen. Ich hatte mich in einer Pension eingemietet, die nur wenige Gehminuten vom Festivalplatz entfernt war. Aufgrund der Erstmaligkeit wollte ich möglichst nahe am Ort der Konzerte dran sein. Also Mikle, bitte nicht böse sein.

     In der Pension Carola, an diesem Wochenende ein echtes Morrison-Hotel, erwartete uns schon der freundliche Besitzer. Endlich ging es in die „Gemächer“ (Moin Jürgen: „Bisch’n altbacken, nä?!“). Matthias & ich teilten uns ein Zimmer, was sich schon in Paris ca. vier Wochen früher bewährt hatte. Fast in der Koje eingeschlafen, aber dann doch noch die Kurve gekriegt. Zum Festivalplatz gelaufen, wo wir kurz darauf die Musiker der Lizard Kings und von Shaman’s Blues trafen. John von den Shaman’s hatte, wie schon oft in Paris, sehr gute Laune und scherzte herum.

   Das niederländische Trio von Shaman’s Blues war genauso in freudiger Erwartung wie Tiedt (Gitarre), Hermelsche (Schlagzeug), Boris (Keyboard & Bass-Piano) und Benny (Gesang) von den Lizard Kings. In Gesprächen wurde mir auch klar, dass Boris zwei Konzerte spielen musste. Die Shaman's hatten ihren Keyboarder aus familiären Gründen zu Hause lassen müssen.

   Gegen 23 Uhr probten die drei von Shaman's Blues mit ihrem „neuen“ Keyboarder Boris. Ohne Mikro stand John zu den Instrumentalisten gewandt und sang Passagen der Songs der beiden ersten Studioalben der DOORS (The Doors & Strange Days). Die Lizard Kings sollten am Tag danach Lieder aus „Waiting For The Sun“ & „The Soft Parade“ vortragen. Die Österreicher von The Doors Experience sangen Stücke aus „Morrison Hotel“ & „L.A. Woman“. Im Laufe der Probe fing es immer stärker an zu regnen. Auf der Bühne bildeten sich Pfützen, wie einstudiert um die Kabel und Instrumente herum. Für Matthias und mich stand eine schwierige Entscheidung an: gegen Ende der Probe mussten wir etwa 10 Minuten durch den strömenden Regen Richtung Pension Carola. Eins war klar: die Regenjacke hatte grundlegend versagt! Klatschnass waren wir zu Hause angekommen und mussten uns aus den Klamotten schälen. Schnell sprang jeder noch mal unter die Dusche, dann war kurzer, tiefer Schlaf angesagt.    

   Am Samstag, 30. Juli, wurde erst einmal das spitzenmäßige Frühstück genossen. Im Speiseraum trafen Matthias und ich Iris, Nina und Jürgen. Wir hatten eine tolle Unterhaltung an einem Tisch im Hof der Pension. Der Hund des Besitzers streifte um uns herum, einige Getränke wurden dem Pensionschef abgekauft und wir saßen reihum und freuten uns wie kleine Kinder auf dieses nie dagewesene Event. Später trafen noch Gernot mit Annett ein. Für die sachsen-anhaltinische Provinz waren wir schon ein ausgesprochen buntes Völkchen.

   Als wir die einzige Gaststätte im Ort aufsuchen wollten, hieß es, wir könnten aus irgendwelchen Gründen nicht dort bleiben. Also ging es direkt zum „Bunker“ im Heyrothsberger Park, dem Festivalgelände. Am verschlossenen Tor gab es noch Probleme, da ohne Dasein der Security kein unkontrollierter Einlass möglich war. Kurz darauf war auch dieses Hindernis aus der Welt geschafft. Mikle, Uwe und Kai waren direkt nach dem Einlass die ersten bekannten Gesichter. Die Aufregung war bei allen sehr groß und es kam ausschließlich Smalltalk zustande.

   Christian vom „Bunker“, der die Location für dieses Festival bot, sprach mit mir kurz den Programmablauf durch. Jetzt stand es fest: in einer halben Stunde, ab 16 Uhr, sollten die Lesungen beginnen. Eine Stunde darauf die Konzerte mit jeweils etwa 85 Minuten Dauer:

17.00 – 18.25 : Kozmic Blue
18.30 – 19.55 : Peter S. Dodge Band
20.00 – 21.25 : Shaman's Blues
21.30 – 22.55 : The Lizard Kings
23.00 –   0.30 : The Doors Experience

   Um 16.00 Uhr war ich an der Reihe. Alles was ich mir vorgenommen hatte, war in den ersten Sekunden vergessen... Eigentlich war es ja „nur“ eine Buchvorstellung, der Abgesang auf etwas, was es gar nicht mehr gibt. Verdammt, war ich nervös!!! Viereinhalb Jahre nach meiner letzten Lesung saß ich nun vor der Bühne, erzählte ein paar Sätze mit voller Gewissheit, dass über 98% der Leute sich nur für die Musik interessierte. Bei weitem nicht mehr so fit wie Ende 2000 stammelte ich wenige Sätze, das mitgebrachte vergrößerte Bild des Frontcovers rollte mehrere Male aus dem Notenständer, irgendein Gesicht ohne Augen, der die Szene tagsdrauf vergessen haben dürfte, blökte mir Hasstiraden entgegen. Ja, ich war froh, als ich das Mikro an Darryl Read weitergeben konnte. Selbstsicher kletterte er auf die Bühne und las einige englischsprachige Gedichte aus seinem Buch „SET“. Darryl (GB) erlangte Bekanntheit, als er vor einigen Jahren zusammen mit Ray Manzarek die CD „Freshly Dug“ aufgenommen hatte. Hans Bezemer (NL) las danach Absätze aus seinem deutschsprachigen Buch. Auch John, Sänger von Shaman's Blues, las einige Zeilen aus Jochen Maaßens Buch. Schade, dass dieser nicht selbst auf die Bühne kam, obwohl er im Publikum war.

   Zwischen den Lesungen und den Konzerten war noch etwa eine halbe Stunde. Mit Ulli Michaelis und Jochen Maaßen kam eine sehr interessante Unterhaltung zustande. Sie erzählten über das unrühmliche Ende der Doors Quarterly Magazines. Schnell wurde klar, dass über 1000 Fans ihr im voraus bezahltes Geld nicht mehr wiedersehen werden. Von „Pannen“ kann auf gar keinen Fall mehr die Rede sein. Danach konnte ich auch noch mit Darryl Read reden. Meinen Einwand einer Coverband mit teilweise Originalbesetzung bezüglich der D. of the 21st Century konnte er durchaus verstehen, betonte jedoch die einwandfreie Arbeit mit Ray Manzarek an der CD „Freshly Dug“. Bezüglich der Auftrittsweise im Namen der DOORS wisse er zu wenig. John Densmore und Nebenkläger (die Familien Morrison und Courson) erreichten kürzlich vor einem kalifornischen Gericht die Unzulässigkeit der Verwendung des Namens „DOORS“ im Namen der Band D_ _ _ _ of the 21st century. Das hat mir 1% des Vertrauens in die US-Gerichtsbarkeit wiedergegeben; 99% stehen noch aus...

   Nach diesen zwei emotionalen Talks hechtete ich zur Bühne. Maggie von Kozmic Blue schlenderte langsam dorthin, wo ihre Instrumentalisten schon warteten. Schnell sprach ich mich mit ihr ab und stellte die Band kurz vor. 1996 wurde aus dem Ehepaar Maggie (Sängerin) und dem Gitarristen Gerhard statt Kozmic Two unter Hinzunahme von Cläusel Kozmic Blue. 1985 ist dieser Mitbegründer von Trio Rio, die u.a. den Hit „New York, Rio, Tokio“ landeten. Die Band macht eine riesige Stimmung, Maggie hat eine Wahnsinnsstimme, mir jagten Gänsehäute über Gänsehäute über den Rücken. Sie weiß einfach, mit der Situation einer Erstband umzugehen, springt von der Bühne und singt mit durchdringendem Blick auf die umstehenden, hilflosen männlichen Opfer zu. „Was brauchen Männer am meisten?“, fragt sie herausfordernd. Keiner wagt es laut zu sagen... „FRAUEN!!!“, löst sie dieses rhetorische Quiz auf.

   Sofort jagt sie mit ihrer Hammerstimme zur nächsten Herausforderung, die sie alle mit Bravour meistert. Als Zugabe singt sie „Mercedes Benz“; gerade bin ich hinter die Bühne gegangen und meine, Janis Joplin kommt gleich herunter! Nach dem Auftritt unterhält sie sich locker mit Benny und mir. Sie ist gerührt und fast etwas verlegen, als wir sie mit Lob überschütten. Egal wo Kozmic Blue das nächste Mal spielt, ich werde dabei sein!

   Fast vergesse ich den nächsten Programmpunkt. Peter Schmidt und seine Musiker sind schon die Stufen zur Bühne hinauf gegangen. Das nächste Highlight bei diesem Ereignis ohne Spannungsabbau ist spielbereit. Noch völlig baff erwähne ich die geile Band mit klasse Gesangsstimme einer tollen Frau um Kozmic Blue. Die Attribute lassen sich auch umkehren. Jetzt wird es heavy. Vor etwa 15 Jahren formierte sich um Peter die East Blues Experience. Schon zu DDR-Zeiten war Peter eine Legende. In der kleinen Formation (neben der großen, klar) waren Stücke von Jimi Hendrix schon immer im Programm. 1993 spielte sie auf dem Norderstedt Open Air vor Luther Allison oder Uriah Heep. Heute nennt sich die Formation Peter S. Dodge Band. Klassische Songs von Hendrix wurden rockig dargestellt, die jetzt schon um die 800 Zuschauer wurden mit typischen Gitarrenriffs und dem Wah-Wah-Pedal durch die Akkorde getragen.

   Nach dem zweiten Auftritt erkannte ich auch den Pensionsvater. Eigentlich Stones-Fan ließ er sich dieses Festival nicht entgehen. Im September 2004 lief schon ein 3-J-Festival im „Bunker“. Damals jedoch gab es ausschließlich Musik aus der Dose. Janis & Jimi wurden schon interpretiert. Nun sollten drei weitere Bands auftreten, die jeweils zwei von sechs Studio-LPs der legendären DOORS um ihren Sänger Jim Morrison vortragen sollten.

   Die Vorstellung der Shaman's Blues eröffnete ich in Anlehnung an ein Filmzitat. „Wir sind doch hier in Heyrothsberge, Sachsen-Anhalt, vereinigte Republiken von Deutschland?!“. Der Film „the doors“ hatte diese Gruppe mit Sicherheit bei der Vielzahl der Zuschauer bekannt gemacht. Erst zu Beginn des Jahres 2005 hat sich um John und den Schlagzeuger, die aus den Matrix Doors hervorgingen, der Gittarist und der diesmal fehlende Keyboarder zu einer Band formiert, die trotz der mangelnden Spielpraxis und der am Vorabend geprobten Neubesetzung mit Boris am Keyboard faszinierten. John wagte Improvisationen, streute ungeahnte Zeilen aus Jamsessions der DOORS ein und nahm den gesamten Auftritt als Experimentierfeld. Erstaunlicherweise kam dabei ein Konzert zustande, das sehr nahe an die morrisonesque Darstellungsweise bei Auftritten in den späten Sechzigern heranreichte.

   Gegen 22.30 Uhr waren die Lizard Kings mit den interpretatorisch schwierigsten DOORS-Scheiben „Waiting For The Sun“ & „The Soft Parade“ an der Reihe. Am wenigsten kopierte Benny vom Aussehen her das Original und die Band spielte sich äußerst zielsicher durch höchste Schwierigskeitsgrade.

   Erstaunlich, wie diese Formation, die sich 1999 gründete, harmonierte. Schon am 3. Juli 2001 hatte ich die Ehre, sie vor dem Lokal „Le Relais“ anzukündigen, als sie gegen 16 Uhr direkt gegenüber dem Friedhof Père-Lachaise spielten. Damals lief Manzarek zum Friedhofseingang und blickte streng herüber, an seiner Seite Danny Sugerman. Die Lizards spielten damals, bis die Polizei kam. Die Flics ließen sich ein Mineralwasser ausgeben und gestatteten noch zwei Stücke. Erstaunlich, in Deutschland hätten sie uns womöglich zur Wache mitgenommen.

   Die österreichische Formation The Doors Experience trat als letzte Band auf. Der Sänger Jason war sehr nahe am Original, nicht nur beim Gesang. Klaus am Keyboard spielte, als wäre es sein letzter Auftritt. Die Mähne nach links und rechts werfend, hämmerte er wie in Ekstase auf die Tasten. Im Jahr 2001 gründete sich diese Band, die in und um Wien zu Hause ist. Die nun über 1.000 Zuschauer flippten förmlich aus, die kleine Tanzfläche wurde von den Fans auf die gesamte Fläche vor der Bühne erweitert. Stage Diving und eine junge Frau, die aus dem Publikum auf die Bühne sprang und hinter Jason stehend ihre Hände über seinen gesamten Vorderkörper strich, anständigerweise (☺) sein Mittelfeld ausließ. Jason klemmte die Lady unter seinen Arm und hielt sie einige Zeit dort. Als er sie losließ, sprang sie enthusiastisch von der Bühne. Als letzten Song spielten die Experience „The End“. Vorher ging Jason vom sauberen Englisch auf seine Heimatsprache über; „I hoff, dass ihr mi versteh’n könnts.“, brachte wegen des Gegensatzes einige zum Lachen. Er kündigte den Song an und letztmalig ging mir ein unglaublicher Schauer über den Rücken. Ja, ich glaube, alle drei Doors-Coverbands hatten begriffen, um was es an diesem Abend ging. Nicht um Ruhm, Geld oder all die Bedürfnisse. Es ging einzig und allein um das reine und einzige Ziel, dieser unglaublichen Band, die es gleich in welcher Besetzung nicht mehr geben wird, zu huldigen. Goodbye, THE DOORS           

   Das Finale brachte alle Doors-Bands dieses Abends nochmal auf die Bühne. Ein schöner Ausklang, der zeigte, dass Bands sich auch vertragen können, wenn sie ein und dieselbe Musik spielen. Ein populäres Liedchen wurde vorgetragen: „Light My Fire“. Eine Hoffnung auf ein neues Festival dieser Art hat es mir gegeben.

  Am kommenden Morgen hieß es Abschied nehmen. Matthias fuhr in Richtung Grafschaft Bentheim, Gernot & Annett Richtung Frankfurt, Nina, Jürgen und Iris Richtung Hamburg, nicht ohne mich vorher zum Bahnhof gefahren zu haben. Sie wollten sich an diesem Sonntag noch Magdeburg anschauen. Jürgen brachte mich zum Gleis. Pünktlich um 12.12 Uhr ging der Zug ab. Zehn Stunden später sollte ich zu Hause sein. Ein kleines Mädchen saß neben ihrer schlafenden Mutter in der Bahn Richtung Kassel. „Was hast du in Magdeburg gemacht?“, fragte sie mich. „Freunde besucht.“, antwortete ich. 

 © Jan-Erik Hubele